Schreckgespenst Konditionierung.



Schreckgespenst Konditionierung?
Einige Hundetrainer und -menschen haben anscheinend Vorbehalte gegen Konditionierung. In letzter Zeit lese ich gehäuft, der Hund würde durch Markertraining und Training über positive Verstärkung zu einer „Konditionierungsmaschine“ degradiert. Ist das wirklich so? Ich möchte diese Aussage heute mal unter die Lupe nehmen.
Konditionierung beschreibt einen völlig natürlichen Prozess, der andauernd stattfindet. In unserem Leben genauso wie im Leben unserer Hunde. Konditionierung ist die Assoziation zwischen bestimmten Reizen und Reaktionen und ist eine grundlegende Form des Lernens. 
Sie beschreibt ein natürliches Phänomen, das ausgiebig erforscht wurde, keine „Erfindung“ des Menschen. Iwan Pawlows Arbeit zur Konditionierung hatte einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklungen in der Psychologie und wird als Meilenstein in der Erforschung des Lernens und des Verhaltens angesehen. Seine Experimente und Konzepte haben das Verständnis der Konditionierung und ihre Anwendung in verschiedenen Bereichen, einschließlich der Erziehung und des Trainings von Mensch und Tier, stark beeinflusst.

Konditionierung passiert ständig. Ob beabsichtigt, oder nicht. Fasse ich auf eine heiße Herdplatte, werde ich das kein zweites Mal tun. Der Schmerz hat mich gelehrt, dass das berühren von Herdplatten mit Vorsicht zu genießen ist. Entsprechend werde ich mich in Zukunft einer Herdplatte vorsichtig nähern, bzw. vor Berührung testen, ob sie heiß ist. Ich habe, ohne dass es von irgendjemandem beabsichtigt war, eine neue Verhaltensweise gelernt. Höre ich nach Jahrzehnten wieder ein Lied, das ich mit meiner ersten großen Liebe in glücklichen Momenten gehört habe, werde ich spontan von angenehmen Gefühlen überflutet. Unser Gehirn hat eine Verknüpfung zwischen dem Lied und unserem starken Glücksgefühl fest abgespeichert.

Im Hundetraining (und nicht nur da) bedient man der beiden Formen des assoziativen Lernens bewusst, um das Verhalten des Hundes in die von uns gewünschte Richtung zu lenken. Neben der oben beschriebenen Klassischen Konditionierung, in der die Assoziation zwischen einem neutralen Reiz und einem reflexartigen Reaktion hergestellt wird, wird bei allen Trainingsansätzen die Operante Konditionierung (nach dem amerikanischen Psychologen B.F. Skinner) genutzt, die auf den Prinzipien von Verstärkung und Bestrafung basiert. Verhalten wird durch angenehme/unangenehme Konsequenzen geformt. 
Daran ist nichts Verwerfliches. Assoziatives Lernen ist ein grundlegender, natürlicher Mechanismus für die Anpassung an die Umwelt und spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Verhaltensweisen bei Menschen und Tieren. Es ermöglicht, Reize und Ereignisse zu erkennen, zu antizipieren und angemessen darauf zu reagieren. Sobald wir einen Hund zu uns holen, ist es unabdingbar, dass er sich in an unser menschliches soziales Miteinander anpasst. Gefällt uns das nicht, sollten wir grundsätzlich über Hundehaltung nachdenken. 

Doch wenn wir uns für einen Hund als Begleiter entscheiden, sollten wir aus meiner Sicht einen Weg wählen, der auch für den Hund angenehm ist. Er hat es sich nicht ausgesucht, mit uns zu leben. Genauso, wie man ein Messer unterschiedlich nutzen kann - zum Brotschneiden und zum Töten - kann man Konditionierung auf wohltuende Art nutzen, oder einem Lebewesen sogar damit schaden. Hier einige Beispiele:

Wird dem Hund eine Schepperdose vor die Füße geworfen, immer dann, wenn er eine bestimmte Türschwelle übertritt, wird er diese Schwelle wahrscheinlich bald meiden. Die Schepperdose ist ein unkonditionierter Schreckreiz, der bei manchen Hunden einen unangenehmen Schreckmoment, bei anderen Individuen Angst auslöst. Je nachdem, wie unangenehm das Gefühl für ihn ist, wird der Hund schneller oder langsamer lernen, das Überschreiten der Schwelle nur kurzfristig oder nachhaltig meiden. Mit allen Nebenwirkungen, wie physiologischen Veränderungen, die eine solche Vorgehensweise mit sich bringt.
Noch ein Beispiel zu einer gängigen Praxis für Leinenführigkeit. Blockiere ich meinem Hund mit schneller, aufrechter Körperhaltung den Weg, ist dies nicht anderes als Konditionierung über positive Strafe, wenn der Hund dies als ausreichend unanangenehm empfindet uns sein Verhalten daraufhin ändert. (Blockieren = unangenehm eventuell bedrohlich). Hinzu kommt, dass er diese Strafe direkt mit uns, seiner wichtigsten Bezugsperson, in Verbindung bringt. Er wird, je nach Temperament verunsichert sein oder sogar verängstigt. Vielleicht haben wir Glück und der Hund erkennt einen Zusammenhang zwischen seiner natürlichen Vorwärtsbewegung und dem Verhalten des Menschen. Allerdings nur dann wenn das Timing perfekt ist. Und trotzdem wissen wir immer noch nicht sicher, was der Hund in diesem Moment tatsächlich verknüpft. Vielleicht nur, dass sein Menschen manchmal unberechenbar ist?

Ein weiteres Beispiel, diesmal aus dem positiven Hundetraining: Verwende ich ein Markersignal (auf das immer eine passende Belohnung folgt, z.B. Futter, Spiel, Umweltbelohnung - was belohnend wirkt, bestimmt das Individuum, nicht wir!), wird der Hund das Verhalten, das er unmittelbar vor dem Markersignal gezeigt hat, mit etwas angenehmen assoziieren und es deshalb häufiger zeigen. Er hat durch Konditionierung ein neues Verhalten gelernt. Natürlich kommt es hier ebenfalls auf passendes Timing an. Und auf ein paar weitere Dinge, die dir ein kompetenter, positiv und bedürfnisorientiert arbeitender Hundetrainer sicher gerne erklärt.
Im Alltag findet Konditionierung ganz nebenbei statt. Dauernd. 

Hier in der Nachbarschaft gibt es ein Haus mit einer Mauer direkt neben dem Gehsteig. Das Eingangstor ist direkt am Gehsteig, nicht zurückversetzt. Ist der Hund  im Garten, kommt es vor, dass er in dem Moment, indem wir das Tor passieren, laut  bellend zum Tor stürzt. Wir haben keine Chance, in vorher zu sehen. Es findet eine spontane, sehr unangenehme Begegnung von Angesicht zu Angesicht statt. Wenige Begegnung dieser Art haben ausgereicht. Nun zeigt mein Hund nervöses Verhalten, sobald wir uns diesem Tor nähern. Das gute war: diese Assoziation konnte ich durch bewusste Konditionierung über positive Verstärkung auch wieder verändern.
Wichtig zu wissen ist: konditionierte Reize gehen mit Emotionen einher. Wenn ein bestimmter Reiz (z.B. das Gartentor) wiederholt mit einer emotionalen Erfahrung verknüpft wurde (z.B. Angst), genügt dieser Reiz alleine, um die entsprechende emotionale Reaktion hervorzurufen. Die Konditionierung von Angstreaktionen sind ein ganz klassisches Beispiel, wie etwa bei der Entstehung von Phobien. Wenn wir z.B. einige weitere solcher Erlebnisse am Gartentoren haben, oder die Emotion stark genug ist, kann es je nach Individuum passieren, dass der Hund künftig Gartentore meidet.
Emotionen können also durch Konditionierung beeinflusst werden und umgekehrt können konditionierte Reize emotionale Reaktionen hervorrufen. Diese Wechselwirkungen spielen eine wichtige Rolle in der Entstehung und Regulation von Verhalten und emotionalen Erfahrungen. Und zwar nicht nur beim Hund, sondern auch beim Menschen und anderen Tieren.

Genau deshalb ist es so wichtig, nicht selbst an Verhaltensänderungen des Hundes herumzuexperimentieren, sondern sich Rat bei einem Hundetrainer zu holen, der weiß was er tut. Leider ist die Zulassung als Hundetrainer über §11 Tierschutzgesetz keine Garantie für Kompetenz und eine Arbeit auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Deshalb ist es gut, sich selbst ein wenig mit Lernen, Verhalten und Emotionen auseinanderzusetzen, damit du verstehst, ob das, was ein Trainer dir rät, für dich und deinen Hund tatsächlich gut ist. Du kannst von diesem Wissen auch für dich selbst viel ableiten.

Übrigens: Positives Training hat zwar weniger gravierende Nebenwirkungen, als bewusstes Training über Strafe und Korrektur. Doch auch hier sollte man wissen, was man tut. Nebenwirkungsfrei ist auch gut gemeintes Training natürlich nicht. Ich habe Hunde gesehen, die zwar freudig, aber ständig an der Seite ihres Menschen kleben und kein Interesse mehr an der Umwelt haben. Ein solches Verhalten kann durch falsch durchgeführtes oder einfach durch zu viel und einseitiges Training  entstehen und ist alles andere als gesund für den Hund. Wie in so vielen Bereichen des Lebens gilt auch hier: achtet auf eine gesunde Balance. Soziales Lernen und das Fördern von Problemlösungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit sind ebenfalls wichtig für das Wohlbefinden deines Hundes. Dazu aber ein andermal mehr …

<< zurück zur Übersicht

Neues Jahr - neues Glück?

Ich nutze die ruhige Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr gerne, um innezuhalten und mir darüber Gedanken zu machen, was im vergangenen Jahr los war, woran ich wachsen durfte und was mir wirklich …

weiterlesen >>

Kommando oder Signal - nur ein Wort?

Gibst du Deinem Hund ‚Kommandos‘ oder ‚Signale‘?
Setzt du Grenzen oder hilfst du deinem Hund Situationen zu meistern?

Hast du schon mal über deine Wortwahl nachgedacht?

Worte und Denken hängen eng …

weiterlesen >>

Unser Verhalten bei unerwünschtem Verhalten.

Passiert es dir auch ab und zu, dass
… es dich stresst, wenn dein Hund etwas tut, das dir nicht gefällt?
… du ihn anschnauzt, wenn du genervt bist?
… dass du zu wenig auf deinen Hund achtest, wenn du …

weiterlesen >>

Schreckgespenst Konditionierung.

Schreckgespenst Konditionierung?
Einige Hundetrainer und -menschen haben anscheinend Vorbehalte gegen Konditionierung. In letzter Zeit lese ich gehäuft, der Hund würde durch Markertraining und Training …

weiterlesen >>

Balance mit Hund - Blog

Kennst Du den Balance-mit Hund-Blog?
Seit 2017 schreibe ich dort Impulse und Ideen für eine bereichernde Mensch-Hund-Beziehung und mehr Gelassenheit im Alltag mit deinem Hund auf.

Dort findest du …

weiterlesen >>

Schau mir in die Augen

Hast du deinem Hund heute schon in die Augen geschaut? Eine Runde mit ihm gekuschelt. Nicht? Dann sollte sie das so bald wie möglich nachholen, wenn er das auch mag. Denn dass der Blick in die …

weiterlesen >>

Mensch und Hund. Eine besondere Beziehung.

Menschen mit Hund haben großes Potential für ein gesundes Leben. Zusammen mit dem Hund bewegt wir uns regelmäßig und bei jedem Wetter an der frischen Luft. Das alleine wirkt sich natürlich positiv auf …

weiterlesen >>